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Tuesday, March 15, 2022

Management Interview

Kai Gondlach

Zukunftsforscher
Zukunftsforscher
Gambio GmbH

„Bei Klimawirkungen im Handel gibt es keinen Sieger“

Kai Gondlach, Zukunftsforscher und Mitglied des öffentlichen Online-Round-Table-Panels, spricht am 16. März 2022 zum Thema „Shoppen wir das Klima kaputt? – Klimawirkungen im Handel“, über Learnings und Impulse auf Basis der Gambio-Meta-Studie „Klimawirkungen auf dem Prüfstand: Wie umwelt(un)freundlich ist der E-Commerce wirklich?“

Herr Gondlach, Sie sind ein Zukunftsforscher der neuen Generation, Mitherausgeber des Fachbuchs „Arbeitswelt und KI 2030“ und meinen, alles sei eine Frage der Perspektive. Wie ist für Deutschland die Perspektive im Bereich Klimawirkungen und Handel? Shoppen wir das Klima kaputt?

Kai Gondlach: Ich werde am Mittwoch, 16. März um 16.30 Uhr, zusammen mit Christiane Manow-Le Ruyet, Chefredakteurin des e-commercemagazins, Lars Reimann, Handelsverband Deutschland (HDE) und Dr. Felix Hötzinger vom Shopping-Plattform-Anbieter Gambio genau darüber sprechen. Alle sind hierzu herzlich eingeladen und können unter www.gambio.de/klimastudie mitdiskutieren.


Wenn wir – nicht nur im Bereich Handel und Logistik – so weitermachen wie bisher, ist der Diskussionstitel „Shoppen wir das Klima kaputt“ gar nicht so überspitzt, wie er zunächst klingt. Betrachtet man neben der Studie zunächst die Umsätze im Handel, bekommt man auch ein anderes Bild vom Verhältnis zwischen Online und stationärem Handel. Vorweg: Im Bereich Klimawirkungen im Handel gibt es keinen Sieger.

Wie sieht dieses Bild genau aus?  


Kai Gondlach: Es wird, auch wenn man den Eindruck gewinnen könnte, längst nicht alles online konsumiert. Zum Beispiel die Marktforscher E-Marketer prognostizieren dieses Jahr erstmals einen weltweiten E-Commerce-Umsatz von über 5 Billionen US-Dollar. 2025 soll er bei rund 7,4 Billionen US-Dollar liegen. Die Offline-Umsätze sollen ebenfalls steigen – von 21,8 Billionen US-Dollar 2022 auf 23,9 Billionen US-Dollar 2025. Deutschland liegt im Bereich E-Commerce-Umsatz laut E-Marketer nur auf Platz 6 nach China, USA, UK, Japan und Südkorea. Das zeigt wieder einmal: Klimaschutz ist ein globales Thema.

Die Meta-Studie von Gambio zeigt unabhängig dieser Einordnung eindeutig, dass der Online-Handel in DACH trotz vorhandener Mythen genauso wenig oder stark ein Klimakiller wie der stationäre Handel ist. Es geht nicht um ein Gegeneinander. Abgesehen von den Einzelergebnissen wird deutlich, wie groß die Rolle des Konsumenten ist, um den CO2-Ausstoß zu verringern.

Das durchs Shoppen forcierte Klimaproblem auf den Konsumenten zu schieben, ist aber vielleicht etwas zu einfach.


Kai Gondlach: So meine ich das auch nicht. Vielmehr müssen Handel, Logistik und Konsumenten einer Idee folgen: Sich buchstäblich bei seinem Handeln wesentlich bewusster sein als bisher. Nehmen wir die Konsument:innen erst einmal aus dem Fokus: Der Handel, ich klammere mal alle Differenzierungen aus, ob online, stationär oder hybrid, ob Einzelhandel oder Filialist, steht in der Pflicht, das Business viel mehr als bisher im Kreislauf zu denken. Das schließt auch die Professionalisierung des Angebots gebrauchter Waren mit ein.

Erklären Sie uns das bitte genauer.


Kai Gondlach: Es ist hinlänglich bekannt: Jedes Produkt, das bewusst gekauft und aufgrund seiner Qualität eine längere Haltbarkeit hat, trägt mehr zum Klimawandel bei als ein neues, klimafreundlich produziertes Produkt. Apple rüstet seine älteren Modelle beispielsweise auch wieder auf und verkauft diese – zum Teil sogar im Supermarkt. Apps wie Vinted sind im privaten Handel erfolgreich. Für die Zukunft ist es wichtig, das Matching zwischen Bedarf und Angebot besser hinzubekommen. Das ist natürlich eine große Herausforderung.

Perspektivwechsel – blicken wir auf den Einzelhandel …


Kai Gondlach: Dessen Probleme aufzulisten, würde dieses Interview sprengen. Ungeachtet dessen sind viele Einzelhändler in der Verantwortung, moderne zukunftsorientiertere Konzepte als bisher umzusetzen und untereinander mehr zu kooperieren. Attraktivere Innenstädte tragen zu einem klimafreundlicheren Shoppen bei, wenn Konsument:innen mit einer Shoppingtour mehr Einkaufserfolg haben. Zudem wird es für viele Einzelhändler nur eine Zukunft geben, wenn sie sich auch online stärker engagieren, vor allem auch vom Megatrend der Personalisierung von Angeboten profitieren. So wird perspektivisch nicht mehr zu viel Masse produziert und gleichzeitig dem individuellen Kundenwunsch voll entsprochen. Dass dabei auch die Hersteller und die Logistik gefordert sind, um diese Produkte schnell und bezahlbar anzubieten, ist eine der gegenwärtigen Aufgaben des Managements für heute, morgen und übermorgen.

Lassen Sie mich raten: Jetzt kommt die große Stunde von KI und Digitalisierung.


Kai Gondlach: Woher haben Sie das gewusst? Natürlich geht das nicht ohne KI und Digitalisierung, um den in der Meta-Studie beschriebenen Klima-Footprint zu verkleinern, das gilt im Textilhandel mit seinen großen Retourenquoten umso mehr als für den LEH.

KI und Digitalisierung helfen, die Effizienz zu steigern, die Emission bei den Lieferketten zu minimieren, DtoC zu forcieren und die besagte Personalisierung auf breitem Niveau zu ermöglichen. Auch das Metaverse als Dekadenthema wird hierbei mehr Chancen als Risiken bieten, auch wenn NFTs das Budget für haptische Produkte in Zukunft schmälern.

Auf welche Daten und Fakten berufen Sie sich?


Kai Gondlach: Anbei neben meinen eigenen Erhebungen eine Auswahl an interessanten Key Facts: Die Mediaagentur OMD Germany aus der Omnicom Mediagroup Germany hat aktuell Interesse und Nutzung der Deutschen beim Thema Metaverse in einer repräsentativen Studie abgefragt: 61 Prozent der Befragten zeigen Interesse für das Metaverse. Das Potenzial ist genauso riesig, wie der Aufwand. Gleiches gilt für Social Media mit weltweit 4,6 Milliarden Nutzerinnen und Nutzern. Im Vergleich zum Vorjahr stellt der Digital Report 2022 von Hootsuite und We Are Social ein Plus von zehn Prozent fest. Das sind weltweit 424 Millionen neue Nutzer. Damit sind 58 Prozent der Weltbevölkerung mindestens in einem sozialen Netzwerk aktiv – täglich 2 Stunden und 27 Minuten. Noch mehr Fakten?

Gerne!


Kai Gondlach: Der "Adobe Digital Trends 2022"-Report, für den weltweit knapp 10.000 Marketing-Expert:innen, IT-Fachleute und Führungskräfte befragt wurden, bestätigt, dass die Ansprüche an Kundenerlebnisse steigen. 85 Prozent der deutschen Unternehmensführer:innen geben an, dass die Kund:innen digitale Strukturen heute voraussetzen. 82 Prozent sind der Meinung, dass Kund:innen auch über 2022 hinaus mehr digital gesteuerte Erlebnisse erwarten. 74 Prozent berichten, dass Kund:innen zunehmend über digitale Kanäle mit ihrem Unternehmen kommunizieren.

Dass es für den Handel, vor allem den Einzelhandel nur gemeinsam möglich ist, in den genannten Kanälen aufzutreten und Kunden zu gewinnen, ist logisch. Es wäre schon sehr geholfen, wenn die Bereitschaft wächst, sich den Themen zu öffnen.


Wer ist denn in Zukunft der Treiber für einen klimaneutralen Handelskreislauf? Politik oder Handel?


Kai Gondlach: Ganz ehrlich, das ist im Grunde egal. Wenn man aufeinander wartet, wird das nichts. Vieles muss heute und in Zukunft ineinandergreifen: Seitens Politik sollte beispielsweise verboten werden, dass zurückgesendete Waren vernichtet werden dürfen, weil es billiger ist als die Neuproduktion. Hinzu kommt eine für Konsument:innen klare Offenlegung der Lieferketten. Und ich frage mich, warum es zum Beispiel bei Lebensmitteln nicht längst eine Art Klima-Ampel gibt, die dem Konsumenten auf einen Blick zeigt, was er kauft. Und um beim Onlineshopping Retouren zu minimieren und einen bewussteren Einkauf zu bewirken, darf der Rückversand für den Kunden nicht kostenfrei sein. Es ist komplex, da muss das ganze Thema „Klimawirkungen im Handel“ angesichts der nackten Zahlen aus der Meta-Studie mehr emotionalisiert werden, um etwas zu bewegen.

Wie groß wird der Druck des Verbrauchers, wenn es um klimaneutral produzierte Produkte geht? Ist fair trade schon der entscheidende Impuls bei der Kaufentscheidung?


Kai Gondlach: Der Druck und das breite Interesse ist immer noch zu gering und gefühlt noch ein Medienthema. Noch und vor allem in diesen Zeiten, die von Corona und Ukraine-Krieg geprägt sind, spielt der Preis bei Haushalten mit niedrigem HHNE nachvollziehbarerweise eine große Rolle für Konsument:innen. Da wird das schlechte Gewissen schnell mal über Bord geworfen. Solange klimaneutral produzierte, transportierte und vertriebene Produkte noch ein Luxusthema sind, wird sich zu wenig ändern. Doch der Handel muss wissen, dass sich das in den kommenden Jahren massiv ändern wird. Die Generations Y, alpha und Z legen mehr Wert auf einen Planeten, auf dem sie auch eine Zukunft haben.

Viele Unternehmen möchten 2030 klimaneutral sein. Wenn man sich die Meta-Studie anschaut, bekommt man den Eindruck, dass das zu spät ist.


Kai Gondlach: Richtig. Der zeitliche Korridor, nennenswerte Veränderungen anzuschieben, liegt ab jetzt bei drei Jahren. Hier kommt die Macht der Konsument:innen ins Spiel.
Diskutieren Sie mit – online am 16.3.2022 von 16:30 bis 17.30 Uhr: „Shoppen wir das Klima kaputt?“ – CO2-Emissionen und Klimawirkungen im Handel. Kund:innen, Handel, Logistik. Wer trägt welche Verantwortung und wie sehen Lösungen für eine klimafreundlichere Zukunft aus?
Die Klima-Meta-Studie können Sie hier kostenfrei downloaden: Zur Studie

Haftungsausschluss / Disclaimer: Das Interview wurde von Financial.de im Auftrag und auf Veranlassung des Kunden geführt. Es dient ausschließlich zu Informationszwecken und ist keine Aufforderung zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren. Die darin getroffenen Aussagen spiegeln die Meinung des Interviewten wider, die nicht notwendigerweise der Meinung der Redaktion entspricht. Für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Informationen sowie für Vermögensschäden wird daher keinerlei Haftung übernommen.